von Sara Schneider (7a), Antonia Kirschning (Q11), Emily Schneider (Abiturientin 2020)
(Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde am Ende des Schuljahres 2018/2019 geführt. Herr Meyr war zu diesem Zeitpunkt noch im Dienst und ahnte nicht, welchem Schlamassel wegen Corona im nächsten Jahr er mit seinem Ruhestand entgehen würde!)
Indiskret: Sie sind als Konrektor unserer Schule bei Schülern und Lehrern wohl bekannt. Allerdings ist Ihre Vergangenheit zumindest bei uns in der Redaktion weniger gut beleuchtet. Deshalb würde ich einfach einmal mit Ihrer Karriere als Lehrer anfangen. Wann kam denn der erste konkrete Gedanke auf, dass sie gesagt haben: „Ich möchte Lehrer werden! Ich möchte mein Wissen an Schüler weitergeben!“?
Herr Meyr: In der Grundschule. Schon ganz früh. Mich hat die Schule schon immer fasziniert. Ich war nicht der tollste Schüler, auch nicht der anständigste. Doch, ich war schon anständig, ein paar Streiche hat man immer gemacht … Aber der Wunsch, Lehrer zu werden, ist schon ganz früh in mir erwacht, wobei man sich als junger Mensch noch keine genauen Vorstellungen darunter macht. Später im Gymnasium war das wieder ganz anders, da war das erst einmal weit weg und die Musik stand für mich im Vordergrund. Das war dann meine Passion, unter der dann auch entsprechend die Schule gelitten hat. Der Wunsch, Lehrer zu werden, kam dann tatsächlich in der Oberstufe wieder. Die damalige Oberstufe bestand aus der zwölften und dreizehnten Klasse, da gab es Leistungskurse in zwei Fächern, die man selbst wählen durfte. Da ist man dann als Schüler schon viel aufmerksamer und nimmt das Ganze bewusster wahr und registriert: „Das läuft gut. So geht es. Nein, das hätte ich jetzt anders gemacht.“ Man bewertet also die eigenen Lehrkräfte schon kritischer und macht sich eigene Gedanken. Den letzten Anstoß habe ich in der zwölften Klasse von meinem damaligen Biologie- und Chemielehrer erhalten, der mir nicht nur die beiden Fächer nahegebracht, sondern einen dermaßen interessanten Unterricht gemacht hat, dass wir an seinen Lippen gehangen sind. Das war mein Vorbild, bei dem ich erlebt habe, wie spannend man Unterricht machen kann und, dass Unterricht nicht nur das ist, was ich gelegentlich sonst so in anderen Fächern erlebt habe, wo man fast immer nur eingeschlafen ist, nein, gelegentlich eingeschlafen ist. Daraufhin war meine Studienwahl relativ klar und ich habe mein Studium dann auch mit Nachdruck und großem Interesse begonnen. Ich habe auch nie aufgehört, daran zu glauben, dass es klappt, obwohl es schon manchmal schwierig war.
Indiskret: Und als Sie dann als junger Lehrer durch die Welt gegangen sind, um einen Job zu finden, was war die erste Schule, an der Sie gearbeitet haben?
Herr Meyr: Also das Referendariat gehört ja noch zur Ausbildung dazu. Da tingelt man noch von A nach B. Das hat begonnen in Fürth am Helene-Lange-Gymnasium als Referendar, dann ein Jahr am Pirckheimer-Gymnasium in Nürnberg, dann wieder zurück auf das Helene-Lange-Gymnasium und dann kam das zweite Staatsexamen und da ist man als Lehrer überhaupt erst einmal fertig. Dann wartet man und hofft, dass man eine Stelle bekommt. Und siehe da! Da haben die Holbeiner gesagt: „Wir brauchen einen.“ Also die erste Schule war das Holbein-Gymnasium. Ich habe mir das damals ein paar Jahre angeschaut, habe aber den Kontakt nach Mittelfranken nie verloren. Es war auch immer noch der Wunsch vorhanden, sich wieder in Mittelfranken niederzulassen. Deswegen habe ich mich dann nach vier Jahren versetzen lassen. Ich habe eine Schule im Westen von Nürnberg, Stein heißt der Ort, erwischt. Bekannt ist er durch Faber Castell. Das war dann eine Schule im Aufbau, also ziemlich neu gegründet. Da konnte man dann viele Prozesse selber mitgestalten, was sofort mein Interesse geweckt hat. Es war ein relativ junges Kollegium und eine schöne Zeit.
Indiskret: War das dann auch der entscheidende Punkt, an dem Sie sich dachten: „Ich könnte vielleicht auch einmal in die Schulleitung gehen, um Veränderungen bei einer Schule herbeizuführen und mich selbst mehr in den Schulalltag einbringen als ein einfacher Lehrer“?
Herr Meyr: Nein. Zu der Zeit noch gar nicht. Im Gegenteil! Ich habe immer weiter versucht, meinen Unterricht zu optimieren, hatte ein wunderbares Fachkollegium, eine tolle Gemeinschaft und es hat große Freude gemacht, dort zu unterrichten. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, mich da einmal anders zu orientieren, wenn nicht eines Tages ein Anruf bei meinem damaligen Chef gelandet wäre. Der kam aus dem Kultusministerium. Und jetzt muss man wissen, im Kultusministerium arbeiten immer wieder Lehrkräfte auf Zeit, so für drei bis fünf Jahre als sogenannte Mitarbeiter in einem Referat. Das war einerseits überraschend für mich, auf der anderen Seite habe ich genau in dem Moment wohl gemerkt: Ja, man könnte sogar noch mehr machen. Und da gibt es jemanden, der setzt auch darauf und vertraut auch darauf, dass jemand mehr machen will. Ich hatte auch das Glück, dass eine weitere Kollegin ein Jahr vor mir diesen Schritt gemacht hat und mir sehr viel positives Feedback geben konnte. Und dann hieß es für mich: fünf Jahre raus aus dem Schulbetrieb, übergeordnete Aufgaben, Lehrplangestaltung, Schulbuchmitgestaltung, Abiturprüfungen usw. Bei den Themen Umwelt, Familien- und Sexualerziehung und vielen weiteren Sparten und Feldern musste man Konzepte entwickeln, ein ganz großer Bereich war auch damals schon die Personalplanung der Biologie- und Chemielehrer für ganz Bayern. Dieser Verlockung bin ich also erlegen und tatsächlich für ein paar Jahre nach München gegangen, wobei ich dann schon in Augsburg sesshaft geworden bin. Ich war also fünf Jahre lang Pendler zwischen Augsburg und München. Im Ministerium sammelt man sehr viel Erfahrung, was Schulleitung anbetrifft. Spätestens dann war der Gedanke, den du vorhin schon einmal aufgeworfen hast, klar gereift: Jetzt soll es über den Unterricht hinausgehen und es soll einmal ein Test unternommen werden, auch an einer Schule in Verantwortung mitzugestalten. Dann ist die Stelle am Anna frei geworden und ich habe mich beworben. Ich war froh, dass es geklappt hat.
Indiskret: Wie lief Ihr erster Tag hier als Konrektor an einer vollkommen unbekannten Schule ab?
Herr Meyr: Nicht ganz einfach, weil man als Außenseiter, vor allem wenn man aus dem Ministerium kommt, erst einmal furchtbar beäugt wird. Dementsprechend waren die Reaktionen sehr zurückhaltend, aber höflich und freundlich. Also man hat schon gespürt: Den schauen wir uns jetzt erst einmal an. Das war für mich im ersten Jahr die wichtigste Aufgabe, diese Schaltstelle zwischen dem Schulleiter und dem Kollegium so mit Leben zu füllen, dass es harmonisch wird. Ich habe sowohl nach oben den Kontakt zum Schulleiter gehalten, um die Schule insgesamt zu verwalten, als auch zum Lehrerkollegium, damit das Ganze wirklich so abläuft, wie es Sinn macht.
Indiskret: Hat sich das Verhältnis zum Kollegium im Laufe der Zeit verändert, also ist das irgendwie weniger zurückhaltend geworden?
Herr Meyr: Ja, natürlich. Es ist logisch, wenn da ein Neuer kommt, den schaut man sich erst einmal an und bewertet auch: Was macht der? Ich habe es natürlich tunlichst vermieden, zu sagen: ´Ich bin jetzt der große Zampano, ich weiß, wie es geht, und ihr Kleinen da unten habt keine Ahnung.´ Nein, ich war immer offen für Vorschläge und für Ideen. Dinge, die seit Jahren hier an der Schule Brauch waren, musste ich quasi übernehmen, ohne dass ich da lange kritisiert habe. Nur wenn ich feststellte: Leute, das könnte man an der Stelle ein bisschen optimieren, dann wurde das verändert. Aber das Wesentliche ist, dass man eine Vertrauensbasis aufbaut.
Indiskret: Hat sich Ihre Rolle im Laufe der Zeit auch in den Punkten Organisation oder Aufgabenbereiche etwas verändert?
Herr Meyr: Ja sehr. Also ohne große Übertreibung haben sich die Aufgaben verdreifacht gegenüber 1999, weil auf die Schule viel mehr Aufgaben zugekommen sind. Wir hatten verschiedene Schulversuche, Mittelstufe Plus, den Wechsel von G-9 zu G-8 und wieder zurück. Das brachte praktische Probleme auf der Verwaltungsebene mit sich, z.B.: Was passiert mit einem G-9-Schüler, der durchfällt und dadurch im G-8 landet? Wir führten auch immer wieder Veränderungen herbei, siehe Medienlandschaft. Das alles muss organisiert werden. Dann gibt es auch immer mehr Veranstaltungen und Zusatzgruppen, angefangen bei der Schülerzeitung über die Medienscouts bis hin zu Externen. Das wollen wir natürlich unterstützen, aber dadurch steigt das Volumen immer mehr. Gleichzeitig bekommt man im Laufe der Zeit so viel Erfahrung, dass man dieses Mehr auch besser bewältigen kann, und die neue EDV bot hier auch eine gewisse Unterstützung. Insgesamt ist es aber schon deutlich mehr geworden.
Indiskret: Was würden Sie als die größten Unterschiede zwischen dem Lehrersein und dem Konrektorsein identifizieren? Nur die Fülle der Aufgaben oder auch das Verhältnis zu den Schülern?
Herr Meyr: Mein Wunsch war immer beides auszufüllen. Natürlich, wenn man mal zehn Jahre als stellvertretender Schulleiter tätig war, dann fängt man auch an darüber nachzudenken: Geht es noch eine Stufe weiter? Kannst du jetzt eine Schule als erster Schulleiter übernehmen, musst du die Schule noch einmal wechseln oder bleibst du hier? Es hatte verschiedene Gründe, warum ich hiergeblieben bin, auch private. Außerdem wusste ich, dass ich dadurch den Kontakt zur Schülerschaft stärker verlieren würde. Ich wollte immer unterrichten. Ich wollte in diesem Amt etwa fünfzig Prozent Verwaltung machen und fünfzig Prozent unterrichten, weil ich immer Lehrer sein wollte, von Anfang an. Und es macht mir heute noch Spaß. So gerne ich die Arbeit hier am Schreibtisch auch habe: Ich freue mich immer, wenn ich in den Unterricht darf.
Indiskret: Haben Sie Ihr Ziel in Ihrer Zeit hier am Anna erreicht mit den fünfzig Prozent Unterricht?
Herr Meyr: Ja. Es reduziert sich mit der Zeit. Es geht dann auf vierzig Prozent zurück, aber in dem Maße bleibt es etwa erhalten.
Indiskret: Wie lange genau unterrichten Sie jetzt schon am Anna bzw. sind als Konrektor tätig?
Herr Meyr: Seit 1999. Das sind zwanzig Jahre.
Indiskret: Das ist ja eine lange Zeit.
Herr Meyr: Oh, ja.
Indiskret: In der Zeit haben sich doch bestimmt auch die Schüler und der Schulalltag verändert, auch in Bezug auf Ehrlichkeit der Schüler und der Lehrer.
Herr Meyr: Nein. Ehrlichkeit, das Flunkern, das Ausloten und das Testen, wie weit kann ich gehen … Nein. Würde ich nicht sagen. Anspruchsvoller sind manche Schüler geworden, aber auch nicht in dem Übermaße: Wir haben noch vor der Jahrtausendwende als Schule immer die Selbstverantwortung und Selbstbestimmung und das selbstständige Auftreten bei Kindern zu fördern versucht, die Ich-Stärke hervorgehoben. Und das trägt jetzt Früchte: Die jetzige Schülergeneration hat ein stärkeres Selbstbewusstsein als noch vor der Jahrtausendwende. Das stelle ich fest, aber so wie sie sich letztlich im Umgang mit uns benehmen, ändert sich da nichts.
Indiskret: Um noch einmal auf das neue Selbstbewusstsein der Schüler zu sprechen zu kommen: In welchen Bereichen genau würden Sie das identifizieren?
Herr Meyr: Oh, schwierig. Das ist mehr so ein Bauchgefühl. Sagen wir mal so: Diese Ungehemmtheit gegenüber einer sogenannten Obrigkeit aufzutreten, das kenne ich aus den vergangenen Jahrzehnten weniger. Schulleitung und Schüler waren eigentlich immer getrennt. Eine starke Trennung wollte ich nie vollziehen, weil ich den Kontakt zur Schülerschaft bewahren wollte. Man sieht aber auch, wie gut es mit Herrn Schwertschlager und mir funktioniert: Seine Türe ist ja auch immer wieder offen, genau aus diesem Grund. Das zeigt natürlich auch, dass Schüler mit ihren Problemen kommen können. Man braucht gar nicht anklopfen und manche stürmen richtig hinein. Vielleicht ist das so ein Beispiel: Vor zwanzig, dreißig Jahren wäre man da noch vorsichtiger an die Sache herangegangen.
Indiskret: Sie pflegen die Nähe zu Schülern ja sehr, wie Sie es schon mehrfach betont haben. Befanden Sie sich dann schon einmal in einer Situation, in der ein Schüler mit einem Problem zu Ihnen gekommen ist und Sie dem Schüler helfen wollten, Ihnen allerdings durch das Schulrecht die Hände gebunden waren?
Herr Meyr: Wenn ich das jetzt konkret an einem Beispiel festmache, dann plaudere ich Geheimnisse aus, die ich nicht ausplaudern darf, aber natürlich passiert das. Logisch, wenn sich irgendein Schüler einer Lehrkraft anvertraut, egal ob das der Stellvertreter ist oder ob das Herr Sixt als Verbindungslehrer ist, man kann immer in einen Konflikt kommen. Ich habe dann vielleicht noch den kleinen Vorteil, dass ich die schulrechtliche Seite sehr gut kenne und sagen kann: Jetzt durchleuchten wir das mal und suchen gemeinsam einen Weg. Aber solche Situationen gibt es häufig.
Indiskret: Wie stehen Sie dann zu Fridays-For-Future, was ja für viele Schüler ein großes Anliegen ist, sich allerdings teilweise vor allem beim Thema Schulstreik mit dem Schulrecht beißt?
Herr Meyr: Das ist so ein typisches Beispiel, bei dem man sieht, wie wir Lehrkräfte auch dazulernen und wie auch die Dienstbehörden dazulernen. Noch ist immer nicht klar, wie sich das Kultusministerium letztendlich verhält. Noch sind wir als einzelne Schule verantwortlich. Wir sagten gleich: „Nein, wir schieben keinen Riegel vor, aber wir müssen als Schule unsere Aufsichtspflicht wahrnehmen. Wenn wir nicht mehr wissen, wo ein Schüler ist, haben wir ein Problem.“ Bei der ersten Klimakonferenz war für uns von vornherein schon klar, wir müssen darauf hinweisen, dass es Sanktionen geben könnte, auch wenn wir diese nicht wollen. Da wussten wir noch nicht genau, wie wir damit umgehen. Dann haben wir getestet und geschaut, ob sich dieses typische Stammtischargument bewahrheitet, dass nur ein paar wenige Schüler ernsthaft an der Sache interessiert sind. Wir sind tatsächlich eines Besseren belehrt worden: Bei unserem internen Angebot zum Klimaschutz außerhalb der Schulzeit waren über 120 Leute da, ca. 100 mehr als beim Streik. Da haben wir gemerkt, so viel verkehrt haben wir nicht gemacht. Deswegen reagierten wir auch bei der zweiten Streikaktion ähnlich. Nur irgendwann wird es schwierig, was unsere Verantwortung betrifft, wie ich es vorhin schon angedeutet habe. Irgendwie müssen wir in Kontakt mit den Eltern kommen und kommunizieren, dass wir das nicht verhindern, aber dabei nicht mehr die Aufsicht übernehmen können. Die Eltern müssen uns dann sagen, ob sie mit unserem Vorgehen einverstanden sind oder nicht. Wir müssen zusammen eine rechtlich einwandfreie Lösung finden. Da bleibt uns gar nichts anderes übrig. Im Grunde genommen ist das, was die Schüler machen, eine fantastische Sache. Und ich gebe gerne zu, bei den ersten Terminen, die gekommen sind, hat man sich schon gewundert, warum nicht am Freitag nach der Schule? Das haben sie ja dann auch gemacht. Aber die Wirkung ist natürlich effektiver, wenn sie es vormittags machen. Beim Anliegen als solchem kann ein Biologielehrer nur zustimmen. Natürlich muss beim Klimaschutz mehr passieren. Ich bin einmal gespannt, wie sich das weiterentwickelt, ob der Druck noch größer wird.
Indiskret: Dann würde ich sagen, wir machen thematisch einmal eine 180°-Wende. Und ich frage Sie einfach einmal: Welche Arten von Ausreden bekommen Sie im Schnitt mit am häufigsten von den Schülern zu hören?
Herr Meyr: Ich weiß nicht, ob das Ausreden sind. Ich habe versucht, als Lehrkraft immer eine Position zu vermitteln, dass man mit mir offen und ehrlich reden kann. Dann brauche ich auch keine Ausreden. Und wenn man das vermitteln will, darf man auch nicht mit dem großen Zeigefinger kommen und sagen: Jetzt bekommst du diese oder jene Strafe. Ich möchte eine ehrliche Antwort auf meine Fragen, z.B.: Wo warst du? Beim Umgang mit einer ehrlichen Schülerantwort sollte es dann darum gehen, wie man einen Schaden repariert, den man selber zu verantworten hat. Deswegen gibt es auch keine Standardausrede, die bei mir immer angekommen ist. Auf die hätte ich eh schon längst reagiert und gesagt: Das glaube ich dir sowieso nicht. Ich meine also, man kann auf Ausreden verzichten, wenn man weiß, dass das Gegenüber wohlwollend und fair mit einem umgehen wird.
Indiskret: Haben Sie selbst als Schüler manchmal Ausreden verwendet oder Ihren Lehrern etwas vorgeflunkert?
Herr Meyr: Ja. Also wir haben schon auch einmal Schule geschwänzt, so ist das nicht. Als junger Mensch probiert man solche Sachen und alles, was ihr selber einmal z.B. mit Hausaufgaben usw. erlebt, das hat meine Generation auch schon gemacht. Logisch. Aber es hielt sich überwiegend in Grenzen.
Indiskret: Was war die lustigste oder kreativste Lüge, die Sie einem Lehrer je erzählt haben?
Herr Meyr: Ich kann nicht lügen. Das ist mein Problem. Vielleicht bin ich so erzogen, ich mag selber auch keine Lügen. Ich glaube, ich habe nie bewusst einen Lügenberg aufgebaut, um mich für irgendetwas zu rechtfertigen. Da kann ich leider nicht dienen.
Indiskret: Irgendwelche Schulstreiche in Ihrer Schulzeit, die den einen oder anderen Lehrer nicht ganz milde gestimmt haben?
Herr Meyr: Ja, also berühmt-berüchtigt waren wir für unseren Männerchor auf der Jungentoilette. Man hat auf der Jungentoilette nicht nur gesungen, weil der Halleffekt so toll war … Und das war dann ganz interessant. Da gab es Lehrkräfte, die Aufsicht führen mussten. Da blieben immer einige vor der Jungentoilette stehen, weil ihnen dieser Gesang so gut gefallen hat. Wir haben dreistimmige bayerische Volkslieder gesungen. A Mordsgaudi! Andere haben kein Verständnis gehabt. Da ging es dann ein bisschen zur Sache und wir sind von da vertrieben worden.
Indiskret: Sie meinten ja, Sie lügen nicht gerne. Welche Fragen müssten wir denn stellen, damit wir Sie tatsächlich zum Lügen bekommen?
Herr Meyr: Das wären Fragen, die sich sowieso von vorneherein verbieten. Ich versuche mit allen Mitteln das zu vermeiden.
Indiskret: Wie steht es dann mit Ihren Kollegen? Hatten Sie als Mitglied der Schulleitung je das Gefühl, ein Kollege oder eine Kollegin würde krankmachen?
Herr Meyr: Das ist schwierig. Solche Fragen darf ich mir nicht stellen. Also wenn ich hier eine Meldung am Telefon oder per E-Mail bekomme und da meldet sich jemand krank, dann ist das für mich in Ordnung, dann ist jemand krank. Wenn das eine Lüge war, dann muss der Betroffene selbst damit zurechtkommen. Auf mich selber wirkt das sehr neutral. Ich nehme das für bare Münze.
Indiskret: Die Absenzen sind ja nur eine Ihrer vielen Aufgaben. Welche Aufgaben werden Sie denn am meisten vermissen, wenn Sie einmal im Ruhestand sind?
Herr Meyr: Es gibt so ein doppelseitiges Papier mit neunzehn Aufgabenfeldern darauf, die man hier in der Stellvertreterposition zu erfüllen hat. Fehlen werden mir Veranstaltungen wie das Abitur, wenn man mit ruhiger Stimme die ganz aufgeregten Herrschaften beruhigen kann, natürlich dann auch die Abiturfeiern, die vielen schönen Feste hier an der Schule, aber in erster Linie werde ich meinen Unterricht vermissen, der steht nach wie vor im Vordergrund. Wovon ich mich schnell trennen kann, sind die Order zum Thema Verwaltung. Zuhause, wo die ganzen Ordner für den Unterricht stehen, da denke ich mir: Soll ich die wirklich wegwerfen? Und da merke ich dann selber, dass mir das noch sehr am Herzen liegt.
Indiskret: Worauf freuen Sie sich dann am meisten, wenn Sie endlich in den wohlverdienten Ruhestand gehen können? Haben Sie da irgendwelche Pläne? Sie haben ja zum Beispiel von Musik als großer Leidenschaft gesprochen. Können Sie da was erzählen?
Herr Meyr: Ja, natürlich. Die Musik war die Alternative für mich, was die Lebensplanung anbetrifft, weil ich schon als ganz junger Mensch moderne Musik gemacht habe. Mit Unterhaltungsmusik habe ich früher sogar schon ein bisschen Geld verdient: Musik ist aber das Hobby geblieben, welches ich nicht zum Beruf machen wollte. Auch mit dem Herrn Schwertschlager zusammen habe ich Musik gemacht, zuhause stehen eine Gitarre und ein Keyboard, die schauen mich immer ganz traurig an und sagen: „Wann hast du endlich Zeit?“ Das ist zum Beispiel etwas, worauf ich mich mit Sicherheit freue: mehr Zeit für die Musik, auch Musik zu hören natürlich. Dann gehöre ich zu einer aussterbenden Spezies, die sammelt so kleine Bildchen mit Zacken außen herum, man nannte die ,,Briefmarken“. Das ist tatsächlich so ein bisschen eine Leidenschaft, weil jede einzelne Marke vom Motiv her für mich ein kleines Kunstwerk darstellt. Die sind ja mit viel Gehirnschmalz gestaltet und designed worden, da gibt es zu jeder Marke auch eine kleine Geschichte im Hintergrund, das fasziniert mich an dieser Sammlung und die wird weiter verfolgt, aber die wartet auch geduldig auf mich. Ebenso wartet mein Fahrrad, mein Wanderrucksack wartet auf mich, das Fernglas zur Beobachtung von Vögeln wartet auf mich … Ich weiß noch nicht, wie ich das alles unter Dach und Fach bringen werde, ich weiß nur, ich hoffe, dass ich jetzt für diese Dinge mehr Zeit haben werde.
Indiskret: Zum Thema kleine Dinge mit Zacken außen herum: Wir haben da Gerüchte über Lego Technik gehört…
Herr Meyr: Das, ja natürlich! Ja klar! Der Spieltrieb ist immer noch da und Lego ist nach wie vor ein Spiel. Ich bin mit Lego aufgewachsen von Kindesbeinen an, der Besuch im Legoland und zwar in Dänemark oben war schon Pflicht, da gab es Günzburg noch gar nicht und das ergab sich so, weil andere Kolleginnen und Kollegen ebenso dieser Leidenschaft hinterherhängen, dann tauscht man sich da so ein bisschen aus. Aber das ist jetzt weniger intensiv. Vielleicht kann ich es wieder intensivieren, ja.
Indiskret: Haben Sie auch vor, auch mit dem Kollegium in Kontakt zu bleiben, zum Beispiel über die Lehrer-Fußballmannschaft, in der Sie ja sehr engagiert sind?
Herr Meyr: Ja, wenn sie mich noch wollen (lacht). Dann mache ich gerne weiter, aber ich bin tatsächlich der weitaus Älteste da drin. Wir leiden derzeit ein bisschen unter Nachwuchssorgen, das heißt, es ist gar nicht so einfach, eine genügend große Gruppe zusammenzubringen. Ich hoffe, dass der Herr Mayr bald wieder fit ist, dass er weniger familiäre Aufgaben hat, dass er bald wieder mitmachen kann. Auch unter den Lehrern gibt es immer weniger, die Fußball spielen, aber solange es den FC Anna gibt und solange die mich haben wollen, gerne. Ja, Fußball ist auch so eine Leidenschaft, nach wie vor.
Indiskret: Dann bin ich auch schon am Ende mit meinen schlauen Fragen und hätte nur noch eine für Sie: Was wollen Sie dem Anna als Schule, also den Lehrern, der Schulleitung, den Schülern, mit auf den Weg geben, wenn Sie mal nicht mehr bei uns sind?
Herr Meyr: Das muss man sich jetzt gut überlegen, weil da sonst so furchtbar salbungsvolle Worte herauskommen. Was ich mir wünsche, ist weiterhin eine gute und weiterhin vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Schulleitung und Lehrerkollegium. So wie wir den Lehrern weitestgehend vertrauen, wünsche ich mir dann auch umgekehrt das Vertrauen der Lehrerschaft in die Schulleitung, so wie ich es kennengelernt habe. Wir machen uns viele Gedanken über die Schulentwicklung und die Erfahrung, die man da hat, sollte man schon mit einbringen. Miteinander reden, keine Gruppen bilden, keine separatistischen Gedanken hegen oder sonstiges, sondern gemeinsam miteinander an einem Strick ziehen: Das wünsche ich mir und das wünsche ich mir auch für meinen Nachfolger oder meine Nachfolgerin, dass hier auch das Vertrauen nach wie vor da ist. Das werde ich dem Kollegium dann sowieso noch einmal sagen.
Indiskret: Dann sage ich erst einmal vielen Dank für das Interview und wünsche einen schönen Ruhestand, wenn es dann soweit ist am Ende des Jahres!
Herr Meyr: Vielen herzlichen Dank, das ist nicht mehr lange.